Wie kam es zum Gemeindezentrum Apostel-Johannes im Märkischen Viertel und warum sieht es so aus?

Erinnerungen von Günter Plessow, 2021

Das Gemeindezentrum Apostel-Johannes ist 50 Jahre alt. Das Jubiläum steht an. Da liegt es nahe, nach den Anfängen zu fragen. Zwei Pfarrer – der amtierende und der emeritierte – standen neulich vor der Tür des Architekten, um sich berichten zu lassen, wie es zum Entwurf gekommen war. Sie haben mich gebeten, meine Erinnerungen für die Annalen der Gemeinde festzuhalten. Ich versuche, anhand von Plan- und Baufotos darzustellen, was uns* damals bewegte.

Günter Plessow (für NGP), September 2021

* Vertragspartner des Kirchenkreises Reinickendorf und federführender Entwerfer war Günter Plessow. Der Auftrag wurde Ende 1964 erteilt. Der Vorentwurf lag im Januar 1965 vor. Nach einer Denkpause wurde die Überarbeitung von 1967 zur Basis des Bauantrages. Mitarbeiter bei der Entwurfs- und Ausführungsplanung war Eberhard Lucht. Die Bauarbeiten dauerten von 1969 bis 1971. 1964 hatten sich Gerd Neumann, Dietmar Grötzebach und Günter Plessow zur Architektengemeinschaft NGP zusammengeschlossen und vereinbart, all ihre Projekte gemeinsam zu verantworten, gleichviel, wer den einzelnen Auftrag erhalten und die Entwurfsarbeit federführend leisten würde.


Ein Stück Großstadt an der Peripherie

Das Märkische Viertel muß ich nicht vorstellen; aber ich möchte daran erinnern, daß es vor 50 Jahren nicht mehr als ein Plan war, den sich der Senatsbaudirektor Werner Düttmann und die Architekten Hans Christian Müller und Georg Heinrichs im Jahre 1962 ausgedacht hatten, um den gravierenden Wohnungsmangel im eingemauerten Westberlin nicht noch einmal mit einer Licht-Luft-und-Sonne-Siedlung, sondern mit einer städtischen Baufigur zu beantworten. Mit einem Stück Großstadt an der Peripherie. Das war alles andere als „angesagt“.

Den Plan kennen Sie. Er wurde oft publiziert und mag immer noch umstritten sein. Viel Feind, viel Ehr. Ich finde ihn BEACHTLICH UND WEITSICHTIG, denn er zeigt mir, daß man eine vorgefundene Stadtrandsituation – Seggeluch und Kleingärten – nicht unbedingt ausradieren mußte, um ein Stadtquartier einzufügen; daß Straßennetz und Grundstruktur weitgehend beibehalten und der Wilhelmsruher Damm, die Verbindung zum nächsten Ort (damals jenseits der Zonengrenze), zur Gebietsmagistrale erhoben werden kann, um dort ein quirliges Ortszentrum anzulegen (wenn die versprochene U-Bahn-Verbindung zur Innenstadt auch noch aussteht).

Das Planungsstadium von 1966 entspricht in etwa dem, was realisiert wurde, wohlgemerkt ohne daß es damals schon gestanden hätte. Der Bau der Grundschule S5 (Märkische Grundschule) wurde gerade erst begonnen, das Gemeindezentrum S20 hatte noch Denkpause, und vom zentralen Wohnriegel W1 (dem Langen Jammer von René Gages) standen allenfalls Teile. Wir können uns das auf dem folgenden Lageplan genauer ansehen.

Haus unter Häusern

Der Lageplan stammt vermutlich aus dem Jahr 1970 und zeigt drei grundverschiedene Nachbarhäuser: oben im Anschnitt den Langen Jammer W1, unten das teppichartig ausgebreitete Bauvolumen der Grundschule S5 mit ihren Freiflächen, und – dazwischengeklemmt – das Gemeindezentrum S20, errichtet auf einem Teilgrundstück, das für die Grundschule nicht gebraucht wurde und auf meinen Vorschlag als Sonderstandort genutzt werden konnte. Dies Grundstück wurde dem Kirchenkreis Reinickendorf zur Verfügung gestellt, und dieser beauftragte mich mit dem Vorentwurf eines Gemeindezentrums, das einmal nicht, wie üblich, als freistehendes Baukörperensemble, sondern als Haus unter Häusern in die übergreifende Baufigur zu integrieren war. Es reizte mich, das Haus – wie ein Buch zwischen zwei Buchstützen – zwischen zwei Brandwände zu stellen und ihm dennoch Bedeutung und Eigenleben zu geben. Das folgende Modellfoto zeigt, was mir 1965 dazu einfiel.

Vor dem Haus und hinter dem Haus

Das Massenmodell zeigt die Grundidee, den VORENTWURF von 1965: drei grundverschiedene Nachbarhäuser, die der Stadtplan des Märkischen Viertels zu einer lebhaft gegliederten Baufigur zusammenbindet.

Links die flach ausgebreitete, ein- bis dreigeschossige Baugruppe der Grundschule S5*: vorn am Dannenwalder Weg der Schulkindergarten und die Turnhalle; in der zweiten Reihe dahinter die drei Klassenkreuze der Grundschule mit den Lichthöfen dazwischen, davor der baumbestandene Vorplatz. Rechts das sechsgeschossige Endstück des Langen Jammers W1, der am Wilhelmsruher Damm abknickt und in mehreren Stufen auf 16 Geschosse ansteigt. Beide Projekte verklammert durch das Gemeindezentrum S20, bestehend aus dem weit von der Straße zurückgesetzten Wohnbautrakt und dem rechtwinklig anschließenden Gemeindetrakt, der merklich in den Straßenraum hineinragt und eine markante Ostwand ausbildet. Beide Flügel flankieren den Gemeindevorplatz, der räumlich in den Schulvorplatz übergeht.
Das knappe Baugrundstück legte eine bündige Freiflächenkonzeption nahe: hinter dem Haus die relativ schmale Privatgartenzone, die der Kleingartenfläche zugewandt ist; vor dem Haus der geräumige Gemeindeplatz, der zu festlichen Veranstaltungen im Freien einlädt. Die Pkw-Stellplätze (eine damals unumgängliche Forderung der Bauaufsicht!) liegen unter dem in den ersten Stock gehobenen Kirchbaukörper und gehen in die großen baumbestandenen Stellplatzflächen vor dem Gages-Bau über.

* Im Frühjahr 1964 bekamen Günter und Ursula Plessow, die im Wettbewerb um die Grundschule am Büchsenweg in Reinickendorf den dritten Preis gewonnen hatten, von Bezirksamt dem Planungsauftrag für die Grundschule S5. Der Auftrag für das Gemeindezentrum folgte zum Jahresende, wurde zunächst aber nicht weiterverfolgt.