Marias und Josefs Advent – auf Herbergssuche im MV

Ein Reise-Blog in 6, nein: 7 Geschichten
in Begleitung von Ehrenamtlichen und ihren Familien aus der Apostel-Johannes-Gemeinde
mit Unterstützung von BENN – Berlin entwickelt neue Nachbarschaften

4. Dezember 2024

Josef berichtet:

In was für einer Gegend sind wir denn hier gelandet? Zwar gibt es hier keine anstrengenden Berge, das würde ich Maria auch nicht zumuten wollen. Nicht jetzt, schließlich wird es nur noch ein paar Wochen bis zur Geburt dauern, aber man weiß ja nie… Bisher gab’s ja auch schon diverse Überraschungen. Aber diese Straßen sind für den Esel nichts. Hier bevorzugen die Menschen motorisierte Drahtesel und Kutschen, alles wirkt sehr hektisch.

Bethlehem scheint auch nicht mehr weit zu sein. Menschen aus den unterschiedlichsten Gegenden der Welt begegnen uns hier an jeder Ecke. Ich vermute mal, dass sie auch alle auf dem Weg sind, sich in diese Listen eintragen zu lassen. Aber einige Tagesreisen werden es wohl doch noch sein. Hoffentlich finden wir eine gute Herberge hier in der Gegend.

Als Zimmermann wundere ich mich ziemlich über die Art, Häuser zu bauen: Ich vermisse das wohlriechende Holz, das eine wohnliche Wärme ausstrahlt. Hier sehe ich nur Steinhäuser. Hinter vielen Fensteröffnungen flackert ein blau-lila-grünlicher Feuerschein. Teilweise im gleichen Rhythmus. Es wirkt aber eher kalt. Hier wird es doch hoffentlich ein Zimmer für die Nacht geben? So viele Knöpfe mit Namenschildern! Wir klingeln bei der Nummer 196 fast ganz oben, neben der 13. Der Gedanke, im 13. Stock eines Wohnhauses eine Herberge für die Nacht zu erbitten, fühlt sich aufregend an – hoffentlich verstehen die hier etwas von ihrer Baukunst… (für einen Zimmermann ist das hier ja quasi eine „Studienreise!“).

Kaum hatte ich auf den Knopf gedrückt, gab die Tür nach und ließ uns ins Haus. Ein Licht erhellte den kahlen Raum und es ging um die Ecke. Einige Türen waren da, alle verschlossen. Und zwei größere, eiserne Türen mit schmalen Fenstern ins Dunkle. Auf der rechten Tür stand, dass sie außer Betrieb sei. Die linke Tür ging einfach nicht auf. Ich vermutete eine Treppe dahinter. Sie müsste ellenlang sein. Mindestens so lang, wie die Himmelsleiter in Jakobs Traum. Wie sollten wir sonst in die 13. Etage kommen? (Die arme Maria!) Unser Esel wurde unruhig. Ich ging noch einmal hinaus und band ihn an. So viele Stufen sind nichts für ihn, dachte ich. Als ich wieder hineinging, hatte sich eine ältere Dame dazugesellt. Sie erzählte uns, dass sie und ihre Tochter hier im Haus wohnen und ihre Tochter diese Tür zu einem Fahrstuhl für ihren Rollstuhl brauche… Nun, bei dieser Bauweise, wo Menschen in die Höhe gestapelt wohnen, braucht es wohl verschiedene bewegliche Stuhlformen, dachte ich. Sie nestelte mit einem eisernen Schlüssel zwischen den beiden Türen an einem Kästchen herum, auf dem „Rauchabzug“ stand. Einen Rauchabzug haben wir in Nazareth auch – für unser Feuer in der Küche. Sieht aber völlig anders aus! Sie stocherte jedenfalls darin herum und die mit uns Wartenden versuchten sie davon abzuhalten, es machte den Eindruck, sie wollten Schlimmeres verhindern. Doch die Dame ließ sich nicht davon abbringen. Die automatisch öffnende Haustür ging wieder auf und ein junger, motivierter Mann, also so einer, wie ich, nur noch etwas jünger, kam herein, grüßte nett und ging auch zielstrebig mit seinem eisernen Schlüssel auf den Rauchabzug zu. Er löste die Frau beim Herumwerkeln in diesem Kästchen ab und – pling! – leuchtete plötzlich ein grünes Lichtlein an der schweren, eisernen Tür mit dem Fenster. In die Dunkelheit des Fensters kam unerwartet von oben ein helles Licht hereingeschwebt. Nun ließ sich die Tür öffnen. Maria und ich und einige andere Wartende betraten einen kleinen, hell erleuchteten Raum. Die Dame und der junge Mann passten nicht mehr mit hinein. Und als ich in dem kleinen, hell erleuchteten Raum noch nach der langen Treppe suchte, hob dieses gesamte Zimmer plötzlich vom Boden ab! Das war ein Spaß! An der Wand erschienen Zahlen: 1 – 2 – 3 – 4 – … dann hielt das Zimmer an und anstelle weiterer Zahlen erschienen Buchstaben: B-R-A-N-D-F-A-L-L-B-R-A-N-D-F-A-L-L-B-R-A-N… sogleich kehrte das Zimmer um und es ging wieder Richtung Erdboden. Ich war gar nicht so unglücklich. Ich beobachtete Maria dabei, wie sie immer wieder leise etwas vor sich hinmurmelte, das sich anhörte, wie „Vater Unser“. Das Kind in ihrem Bauch hüpfte bestimmt auch auf und ab… Ich werde dieses fahrende Zimmer Paternoster nennen und zu Hause in Nazareth nachbauen, wenn ich trotz Kind mal Zeit habe!

… Moment mal: BRANDFALL?! Mittlerweile war wieder die 1 an der Wand zu sehen. Dann hielt das Zimmer erneut an. Ich spürte, dass die Mitfahrenden in diesem Zimmer (deshalb heißt das Ding „Fahrstuhl“!) nervös wurden. Naja, was sollten wir denn da sagen: Wir müssen hochschwanger so eine weite Reise machen und hier geht es um nicht einmal hundert Meter! Zwei Damen streckten schnell ihre Hand nach vorne und tippten jede mit ihrem Zeigefinger auf einen Nummernknopf: Die eine drückte den alleruntersten und die andere Dame den mit der Nummer 13. Und tatsächlich: Dieses auf- und abfahrende Zimmerchen drehte auf der Stelle um und schwebte bis in die 13. Etage! Und die Tür öffnete sich! Eine große Anspannung fiel von uns ab. Hier oben roch es nach Geborgenheit. Nach einem Platz für die Nacht. Und die Menschen, die uns hier empfingen, waren ganz von den Socken: Sie waren eigentlich auf Gäste eingestellt gewesen, hatten aber alles schon weggeräumt, weil dieses fahrende Zimmerchen nicht fuhr. Aber nun sind wir da: Der Zimmermann und seine Zukünftige! Wir sind durch für heute, Leute!

Mit uns waren auch die anderen oben angekommen. „Macht hoch die Tür“ sangen sie. Ja, die Tür, die mit dem Fenster, die nicht aufging. Die Tür, in der das Licht mit den Menschen nach oben schwebte. Bis in die 13. Etage. Und „Tragt in die Welt nun ein Licht, sagt allen: fürchtet euch nicht!“. Das haben sie dann auch so gemacht: Vor jeder Tür steht nun eine Papiertüte mit einem Licht. Und Barbarazweige stehen in einem Gefäß. Ob die Blüten wirklich aufgehen, wenn unser Kind geboren wird? Die Menschen beten. Sie sprechen zu unserem Gott. Das fühlt sich nach Zuhause an. Maria und ich sind sehr müde. Jemand macht noch ein Foto von uns. Sie singen noch ein Lied. Und noch eines. Es riecht nach Kinderpunsch und selbstgebackenen Plätzchen. Ein Plätzchen… haben wir gefunden… für diese Nacht…

5. Dezember 2024

Maria berichtet:

Wir sind früh aufgestanden und wurden von einer unserer Gastgeberinnen sehr lieb wieder in dem Zimmerchen herabgelassen. Runter war es gar nicht mehr so aufregend.

Ich setzte sich wieder auf den Esel und Josef trabte nebenher. Schon komisch, bald werden wir zu dritt sein…!, dachte ich. Wir sahen viele Familien. Manche hatten viele Kinder bei sich. Einige wirkten von ihren Kindern genervt. Das wird mir bestimmt nicht so gehen. Ich freue mich schon riesig, auch, wenn das mit dem Baby bestimmt auch anstrengend werden wird. Mir fiel auf: viele Frauen tragen hier ein Kopftuch. Ich trage auch eines, weil mir kalt ist. Aber eigentlich wünschte ich mir so eine warme Mütze, wie ich sie bei einem der Pilgernden gesehen habe…

Ich fror wirklich, hier zwischen diesen seltsamen hohen Steinhäusern pfiff der Wind ungewohnt scharf. Auch heute Abend brauchen wir wieder eine Herberge. Ich bin gespannt, was uns diesmal erwartet…

Eine halbe Stunde früher als gestern bat ich Josef, eine Unterkunft zu suchen. Ich war müde und die Aufregung von gestern steckte mir noch in den Knochen. In der Dunkelheit war es gar nicht so einfach sich zurechtzufinden: In großen Pfützen spielgelten sich die vielen Lichter der hohen Häuser wieder. Manche Fenster in der Höhe haben funkelnde Lichter, es erinnert mich an den Sternenhimmel bei uns in Nazareth. Ach ja, Nazareth…

Plötzlich sah in in der Dunkelheit vor uns eine Gruppe von Pilgern. Das müssen die von gestern sein, die gestern so schön gesungen haben, als wir bei unserer Herberge ankamen. Aus der großen blauen Tasche schaut die kleine Gitarre heraus. Ob sie heute wieder hier in der Nähe einkehren?

Josef hatte sie auch wiedererkannt und wir folgten ihnen bis zu einem Hauseingang. Nummer 124. Eine Frau mit zwei größeren Mädchen begrüßte die Gruppe. Wir beeilten uns, auch noch hineinzukommen, doch da schloss sich eine selbstschließende Tür und erwischte das Hinterteil unseres lieben Eselchens. Wir banden ihn also wieder draußen an. Hoffentlich übersteht er die Nacht hier gut, er ist weder polizeilich registriert, noch mit einem Level-15-Schloss gesichert. (Ich habe in einem Gespräch aufgeschnappt, dass das unglaublich wichtig sei!) Aber Josef ist schließlich Zimmermann, der hat das im Griff, denke ich. Und ein Zimmer wird er hier hoffentlich auch für uns finden.

Die Dame, die alle begrüßt hat, öffnet wieder so ein fahrendes Zimmer. Größer, als gestern. Aber an jedem Nummernknopf ist ein Schloss angebracht. Warum nur? Die Dame steckt ihren eisernen Schlüssel in das Schloss mit der Nummer 6 und das Zimmer setzt sich in Bewegung. Heute bleiben alle ganz ruhig. Das macht bestimmt die Gewöhnung. Ich finde den Gedanken ganz angenehm, nicht die ganzen Treppen zu Fuß erklimmen zu müssen! Als sich die Tür wieder öffnet, steht vor uns ein unglaublich großes, gemütlich aussehendes Sofa mit Blümchenmuster! Josef, du bist ein Schatz! Das hast Du prima ausgesucht!!!

Josef ist immer für Überraschungen gut, aber das hatte ich wirklich nicht erwartet! Hier war es warm. Ziemlich warm sogar. Und links und rechts erstreckte sich eine unglaublich große Wohnetage. Eine Dame und ein Herr, die dort augenscheinlich arbeiteten, begrüßten uns freundlich und führten uns bis zu einem großen Esstisch, an dem ein knappes Duzend weißhaariger älterer Damen saß. Einige in einem Stuhl auf Rollen (vermutlich kein Fahr-, sondern eben ein Rollstuhl?!), andere saßen am Tisch oder taperten mutmaßlich planlos durch den Raum. Eine griff sich die Hand ihres Betreuers. Wie gut ist es, wenn da eine Hand ist, die einen hält oder führt. Die Pilger von gestern fingen wieder an zu singen. „Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!“ Da erinnerte ich mich wieder daran, was der Engel mir gesagt hatte: Gott, der Herr, wird meinem Sohn den Thron von David geben und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit und sein Reich wird kein Ende haben… Die Weißhaarigen lauschten den Liedern und Gebeten. Zwischendurch erinnerte sich eine Dame an einige Textstellen und stimmte in den Gesang ein. Und auch hier bekam jeder eine Papiertüte mit einem kleinen Licht. Vielleicht erinnert sich ja doch jemand noch morgen früh an unseren Besuch heute Abend. Und wenn nicht, dann kann das Licht mit einem „Klick“ wieder angeschaltet werden. So, wie die plötzliche Erinnerung an eine alte Liedzeile. Wie gut, dass Gottes Liebe nicht von Erinnerungen abhängt. Er reicht jedem die Hand.

Nun sind wir müde. Oh, wie niedlich: Josef hat sich an das Sofa angelehnt und ist schon eingeschlafen! Ich lausche noch ein wenig den Gesprächen der knabbernden und teetrinkenden Pilger….

11. Dezember 2024

Josef berichtet:

Wir hatten einige Tage Pause eingelegt auf unserer Reise. Ich bewundere Maria, wie sie trotzdem immer wieder den Antrieb findet, weiterzulaufen: „Josef, steh auf, nimm Dein Bett und lass uns weiterziehen!“ rief sie mir zu. Sie wartete schon mit dem Esel fertig zum Losgehen! Puh, das war eine Ansage! Ich fühlte mich in den ausgetretenen Schuhen wie ein Lahmer, der nach den Erholungstagen erstmal wieder laufen lernen muss!

Die Wege nach Bethlehem sind manchmal seltsam. Dieser Weg hier schien ringförmig zu sein, jedenfalls hatte ich den Eindruck, wir drehen uns um einen Stern, die über uns durch die Wolkendecke schaute. Es war stockdunkel, obwohl es erst um die fünfte Stunde am Nachmittag war! Eine halbe Umdrehung hatten wir auf dem Weg hinter uns gebracht, da erschien ein Gebäude mit großen, hell erleuchteten Fenstern. Durch eine dieser seltsamen durchsichtigen Türen, die sich wie von selbst öffnen, betraten wir das Gebäude. Links begrüßte mich zu meiner Überraschung ein alter Bekannter: Ein riesiger hölzerner Nussknacker, der könnte glatt aus meiner Zimmermanns-Werkstatt in Nazareth sein! Aber auch zwei nette Damen warteten dort. Hinter uns hörten wir Schritte und die wunderbare Tür öffnete sich für …. – die Pilger! Die haben wohl wirklich den gleichen Weg, wie wir?! Wir gingen gemeinsam durch lange Gänge, an den Wänden hingen Bilder von einem großen Gebäude mit einer Kuppel, sicher wichtige Sehenswürdigkeiten hier in der Gegend. Aber dafür haben wir leider gerade keine Zeit. Und wenn das Kind erstmal da ist, wird das auch schwierig.

Mich wunderte gar nicht, dass wir plötzlich vor einer geschlossenen Metalltür stehenblieben. Maria hörte ich neben mir tief durchatmen. Es war eine 50/50-Chance, ob es sich hier um ein aufregendes oder nur um ein praktisches „fahrendes Zimmer“ hinter dieser Tür handelte…

Es war ein Praktisches! Leider musste eine ältere Dame vor dem Fahrstuhl warten, so wurde ihr gesagt. Wir verabschiedeten uns freundlich von ihr und sie blieb zurück auf ihrer Etage. Wir fuhren zwei Stockwerke nach oben und als sich die Tür öffnete, musste ich lachen: Mitten im Haus in der 2. Etage stand ein Baum und an diesem Baum leuchteten Lichter (obwohl es doch draußen so dunkel ist, nicht hier drinnen!) und es hingen lauter Dinge dran! Und um den Baum herum saßen ganz viele ältere Männer und Frauen, … als hätten sie uns erwartet!? Manche hatte fahrende Stühle oder diese praktischen Schiebegestelle.

Eine Dame mit einem Namensschild, sie schien hier zu arbeiteten, begrüßte unsere Gruppe sehr freundlich und wir zogen uns erst einmal die warmen Sachen aus, hier drinnen war es unglaublich gemütlich warm. Für Babys wäre es hier bestimmt auch ein guter Ort, aber ganz offensichtlich auch für ältere Menschen. Eine ältere Dame im Rollstuhl, mit Brille, schien die Pilger gut zu kennen. Und dann fingen sie auch hier an, zu singen. Aber heute sangen ganz viele von den älteren Menschen mit – manche sogar auswendig! Das müssen ziemlich bekannte Lieder sein, hier in dieser Gegend… „Er ist gerecht ein Helfer wert, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt“… Vielleicht ist mit dem Helfer der dunkelhäutige Mann gemeint, der die Frauen und Männer in den fahrenden Stühlen hin- und herschiebt und so freundlich mit ihnen redet? Und diese vielen Gefährte auf Rädern – sind sie Sanftmut und Barmherzigkeit? „All unsre Not zum End er bringt“ haben sie dann weiter gesungen und ich frage mich, wen sie wohl damit meinen? Ich will jedenfalls mein Bestes heute dazu tun, unsere Not, diese Reise unter diesen Strapazen zu machen, auch zum Ende zu bringen. Wir bleiben heute hier. Ich werde es organisieren, dass diese nette Frau mit der Brille uns eine Herberge in ihrem Zimmer gibt. Habe dabei ein gutes Gefühl.

Dann hat sie mich aber doch überrascht, die ältere Dame: Sie las etwas vor von einer Uroma und ihrem Urenkel. Sie haben sich an einem Festtag, den sie Heiligabend nennen, getroffen, etwas Leckeres gegessen, dass sie „Kaliningrader Köttbullar“ genannt haben und sie waren am Abend in einer Kirche (ich vermute, dass ist so etwas ähnliches, wie eine Synagoge?) und der Urenkel hat dort mit seinem „Bildschirmbrettchen auf seinen Tiktok-Kanal gepostet“, wie sie es nannten. Lustige Sprache! Es kam noch besser, da mussten ich wirklich lachen: „Das ist mega… so voll geiles Retro hier … das ist cool, mein krassestes Weihnachten, echt jetzt Leute, da glaubste so was von an Gott … das, keine Ahnung, das spürste so irre…“[1] Uns machte dann aber doch stutzig, dass hier ganz unterschiedlich immer wieder von Gott gesprochen und gesungen wird. Die Geschichte mit der Uroma uns dem Urenkel endete mit „Gloria, in exelsis Deo“.

Am Ende sangen die Pilger auch wieder das Lied vom Stern über Bethlehem. Der Punsch war heute besonders warm und er tat gut nach dem langen Marsch. Es gab wieder leckere Kekse dazu. Sehr gastfreundlich sind die Leute hier!

Als wir dann später in Ruhe mit der älteren Dame auf ihrem Zimmer waren und unser Nachtlager bereitet hatten, musste ich an den Sternenhimmel denken und daran, dass wir um einen Stern fast im Kreis herum gelaufen sind… Als ich von unserem Nachtlager aus noch einmal umsah, schmunzelte ich: In der Ferne sah ich eine erleuchtete kleine Stadt und um uns herum etliche Tiere: einige auf Bildern, andere sahen fast echt aus… Ich erinnerte mich plötzlich daran, was der Prophet Jesaja von Ochs und Esel gesagt hat, seltsam… Aber nun schlafen wir lieber, morgen müssen wir weiter.


[1] Aus: „Seelenbrot, retrostyle“ – eine weihnachtliche Kurzgeschichte von Andreas Malessa (Weihnachts-Überraschungs-Geschichten / Stefan Loß (Hrsg.), Brunnen-Verlag Gießen 2022)

12. Dezember 2024

Maria berichtet:

Josef ist so ungeduldig. Er wollte schon früh aufbrechen, um nicht wieder durch die Dunkelheit zu müssen. Wir haben uns von der netten alten Dame mit den Augengläsern verabschiedet. Ihre Tür steht immer offen, sagte sie. Und das stimmt: Ihre offene Tür war wie eine freundliche Einladung, der wir auch gerne gefolgt sind. Das Lied; „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ geht mir gar nicht mehr aus dem Ohr. Josef pfeift es auch immer wieder vor sich hin! Aber in seiner Ungeduld haben wir dann tatsächlich mit unserem Esel den Weg eingeschlagen, der uns wie ein Ring im Kreis herum geführt hat… War nun sie halbe Tagesreise umsonst? Ich bin schon ein wenig ärgerlich. Er hätte das doch merken müssen – aber klar: Der Stern leuchtet eben im Dunklen erst viel heller und klarer, da konnten wir uns tagsüber gar nicht so gut orientieren. Tut mir jetzt auch irgendwie leid, dass ich ihm da die Schuld in die ausgelatschten Schuhe geschoben habe. Aber warum ist er auch so ungeduldig gewesen?

Vielleicht macht er sich ja nur Gedanken, dass es mir und dem Kind gut geht. Das ist schon lieb. Aber manchmal nervt mich sein Aktionismus.

Kurz vor der sechsten Stunde, als es schon wieder sehr dunkel und frostig war, suchte er nach einer Herberge für die Nacht. Die Menschen, die uns entgegenkamen, hatten volle Taschen dabei. Sicherlich kamen sie vom Markt. Ich würde mich auch freuen über eine frische Apfelscheibe oder sogar eine Tasse Kaffee… Aus dem hohen Haus mit der Nummer 114 kamen drei Männer, die ähnelten den Menschen in unserer Heimat. Einer hatte einen verbundenen Arm. Hier scheint er Hilfe bekommen zu haben. Ich habe gehört, dass es hier auch viele Ärzte geben soll, die oben in den hohen Häusern die Kranken versorgen. Ein schöner, aber seltsamer Gedanke: Der Besuch beim Arzt bringt mich Gott ein kleines bisschen näher…?!

Josef meinte jedenfalls, dass wir in diesem Haus einkehren sollten. Wie banden den Esel an und wer öffnete uns unten die schwere, durchsichtige Tür? Zwei der netten Pilger. Sie scheinen überall zu sein… – wahrscheinlich stellt sich irgendwann heraus, dass sie hier wohnen! Aber ich meine, dass sie auch Herbergssuchende sind. Von den anderen fehlte jede Spur. Wir folgten ihnen und erreichten mit dem fahrenden Zimmerchen die 6. Etage. Hier war alles grün! Ich musste an die Zweige denken, die Barbarazweige, die aufgehen sollten, wenn unser Kind geboren wird. Es wird nicht mehr lange dauern…

Eine Mutter mit ihrem Mädchen begrüßte uns herzlich. Vor ihre Tür hatten sie gastfreundschaftlich Kaffee, Punsch (mit Apfelscheiben!) und Gebäck gestellt – als ob sie meine Sehnsucht erraten konnten! Hier werden wir heute bleiben!

Aber es scheint, dass die Pilger auf etwas warten? Ein schriller Piepton schallte durch den langen Gang und Josef und ich hielten unweigerlich unsere Hände auf unsere Ohren. Auch die ältere Pilger-Dame hielt sich eine Hand auf ihr Ohr. Sie schien mit der Hand zu sprechen und sie zu beruhigen. Das Piepen hörte dann auch auf. Sie erklärte uns dann, dass die anderen Pilger auch sogleich erscheinen würden… Seltsam, dass die Hände der Menschen hier solche prophetischen Fähigkeiten haben? Ob sie mir auch sagen könnte, wann mein Kind erscheint? Ich traue mich nicht, sie zu fragen und Josef sucht wahrscheinlich sowieso nach anderen Erklärungen dafür, typisch Mann!

Die metallene Tür des fahrenden Zimmerchens schob sich jedenfalls kurz darauf auf und es erschienen wirklich vier weitere Pilger mit ihrem Instrument! (Irgendwann werde ich die Frau doch fragen…!)

Es tat gut, nach diesem kalten Tag dem Gesang zu lauschen, den Gebeten und den warmen Worten der Gastgeberin. Immer wieder reden sie von „Advent“. Sie nennen es „Ankunft“. Wir kommen auch immer wieder neu an. Unser Weg nach Bethlehem ist da Programm: Von einem Ankommen zum nächsten. Manchmal habe ich trotz aller Anstrengung den Eindruck, dass uns ein Weg bereitet wird. Ein Weg im Kleinen, ganz nah bei den Menschen. Bei den Einfachen, bei den Alten, den Kranken. Bei Familien. Ich bin gespannt, wen wir auf unserer Reise noch alles kennenlernen werden. Die Gastgeberin hat ermutigende Worte für uns: sie spricht von dem unschuldigen Anblick eines Babys und davon, dass Gott jeden von uns genau so ansieht. Dass sein Blick für uns frei von Schuld ist. Und dass uns das helfen kann, einander so anzusehen, wie Gott uns ansieht.

Die Kinder, die heute dabei waren, waren auch mal so klein mit so einem unschuldigen Anblick. Ich habe aber gesehen, wie sie sich necken und taktieren. Das Mädchen war zunächst ganz ungeduldig und tatendrängig, wie Josef heute Morgen. Ich stelle mir Josef vor mit einem unschuldigen Baby-Blick. Ich muss unweigerlich lachen. Aber damit verschwindet mein Ärger über seine Ungeduld. Ob unser Kind doch ein wenig so aussehen wird, wie Josef mit Baby-Blick? Ich weiß, das würde keinen Sinn ergeben, aber bei Gott ist doch nichts unmöglich…

Kekse, Punsch und Kaffee haben gutgetan und es duftete überall. Sogar nach Lagerfeuer (…, aber das kam, so vermute ich, von den Kleidern der Pilger!). Dies alles scheint hier so eine Art Markenzeichen für Gastfreundschaft in der kalten Jahreszeit zu sein. Ich höre in der Herberge einen Hund bellen. Wie in Nazareth bei den Hirten. Vielleicht haben sie hier such Schafe? Ich bin gespannt auf diese Nacht.

Im Morgengrauen erwache ich kurz noch einmal. Der Herbergsvater kommt von einer Dienstreise nach Hause. Das niedliche freche Kätzchen schnurrt ruhig weiter, auch der kleine Hund beruhigt sich bald wieder. Es tut gut, noch ein wenig weiterzuschlafen…

15. Dezember 2024[1]

Josef berichtet:

Starker Südwestwind hatte sich angekündigt – mit Temperaturen bis 12 Grad! Wir nutzen die milderen Temperaturen und brechen entgegen unserer Planung heute schon zum nächsten Wegabschnitt auf. Wir lassen und von den milden Windböen in östliche Richtung treiben. Hier zwischen den hohen Steinhäusern pfeift der Wind trotzdem unangenehm. Unser Eselchen bockt, bevor wir die Straße überqueren wollen. Ich will ihn weiterziehen, doch dann bemerke ich, wohin sein sturer Blick geht: Weit hinten im Nieselregen weint ein kleines Mädchen. Es scheint eindeutig andere Pläne zu haben, als seine Mutter, die bei ihr ist. Unser Esel stupst mich in seine Richtung. Dieser Esel und sein Dickkopf! Ich bereute es gerade wieder, überhaupt so spontan aufgebrochen zu sein, da fing Maria an, zu winken! Sie hat einfach Adleraugen! Aus dieser Entfernung hatte sie das Mädchen und seine Mutter wiedererkannt – wir hatten doch bei ihnen übernachten dürfen und waren erst vor wenigen Stunden aufgebrochen! Die Mutter gab nach und die beiden beschlossen, uns auf unserem Weg noch ein wenig zu begleiten.

Der Pfad führte uns an unzähligen Metall-Kutschen vorbei, mäanderte durch an den hohen Häusern entlang und wir versuchten Pfützen und Hundekot auszuweichen. Einige Kinder begrüßten uns unterwegs. Sie wirkten einsam, obwohl sie nicht alleine waren. Die wenigen Fenster, die in der Dunkelheit mit Lichtern geschmückt sind, treten tagsüber nicht in Erscheinung. Unter der tiefhängenden Wolkendecke und dem leichten Sprühregen wirkt unser Weg grau-in-grau.

Vielleicht hat uns das angekündigte milde Lüftchen doch etwas zu euphorisch gestimmt? Hinter einem der hohen Häuser wurde der Blick weiter, hier ging es ins Grüne hinaus, naja, eben zu dieser Jahreszeit ohne Grün. Aber zumindest in die Natur! Bunte Spielgeräte für die Kinder zeugen von angenehmeren Tagen. Wir können es kaum glauben, bald werden auch wir Eltern sein!

Musik dringt aus einer Holzhütte. Ist das vielleicht ein Stall, etwas abseits hinter den gestapelten Wohnhäusern? Oder befindet sich in dieser Baracke eine Werkstatt? Meine Hände sehnen sich danach, wieder Holz zu spüren, zu bearbeiten, zu veredeln…

Die Tür steht offen… Wir erinnern uns an das Lied, das die Pilger immer gesungen hatten: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit…“. Unsicher, was uns hier erwarten wird, betreten wir mit unserem Esel die Hütte. Niemand wundert sich hier. Ein winziges Mädchen scheint sich hier auszukennen und läuft auf flinken Füßchen zwischen den Räumen hin und her. In einer Sofa-Ecke daddelt ein größeres Mädchen auf ihrem Hand-Brettchen und schaut sich beleuchtete Bilder an. Es riecht nach Waffeln und Crêpes, aber auch nach Bratwurst, Kaffee und Punsch…

Hinter einer Theke stehen einige Leute, die uns empfangen heißen. Ihre lockere und lustige Art gefällt mir und ich bestelle für Maria und mich das volle Programm: Punsch, und Crêpes als Vorspeise, eine Bratwurst im Brötchen mit Senf als Hauptgang und Popcorn mit einer Tasse Kaffee als Dessert – Himmlisch!

Als wir so gut gestärkt in die Runde in der Sofa-Ecke schauen, können wir unseren Augen kaum trauen: Um uns herum sitzen die Pilger in großer Zahl und einige, die wir bisher noch nicht gesehen hatten: Ein älteres Paar saß mit in der Runde. Er trug einen weißen, langen Bart und brachte mich zum Schmunzeln: Vor ihm auf dem Tisch hatten Kinder angefangen ein Bild auszumalen von ein Reh-Kitz mit großen, kindlichen Augen – und einem ebensolchen Bart! Einige Personen weiter in der Runde fiel mir ein großer, schlanker Mann mit starken Augengläsern auf. Er schien sich hier gut auszukennen, denn er hatte behände ein fünfsaitiges Instrument herbeigeholt. Es muss sich um eine historische Weiterentwicklung handeln, die Stimmung war noch schillernder, als die des kleinen Instruments, auf dem die Pilger sonst musizieren! Es hatte manchmal den Touch von orientalischen Melodien aus unserer Heimat…

Und noch jemand fiel uns auf: Ein stämmiger, junger Mann mit zwei besonderen Armen: Sein linker Arm war gezeichnet von Bildern und Ornamenten und sein rechter Arm und seine Hand waren versteckt hinter einem dicken roten Verband, aus dem eine weiße Schiene herausragte. Wir sahen ihm an, dass sein Arm schmerzte. Könnten wir dem armen Mann doch irgendwie helfen…?!

Vielleicht war es ja das Segensgebet für dieses Haus und seine Menschen, was uns beruhigte, dass er Heilung erfahren wird. Gott geht ja mit einem jeden mit, das erleben wir ja selbst immer wieder aufs Neue!

Immer mehr Menschen aus den umstehenden hohen Häusern finden sich hier ein, in dieser stallartigen Hütte. Fast, wie eine Familie! Viele scheinen sich zu kennen, miteinander verwandt zu sein. Einige sitzen an einem Tisch und stecken Plätzchen aus, andere Basteln.

Wir bleiben hier heute nicht über Nacht, dafür ist die Herberge nicht ausgelegt. Aber der Besuch hat uns erfrischt und wir unterhalten uns an diesem Abend noch lange über die Menschen, die uns hier begegnet sind. Mit denen könnte man doch auch gemeinsam etwas auf die Beine stellen?

Apropos Beine: Maria sollte ihre nun mal hochlegen, es war ein ausgiebiger, spontaner Tagesmarsch…


[1] Der CVJM hat die ApoJo dazu eingeladen, nach ihrer Gemeindeversammlung am 15.12.2024 ab 13 Uhr mit ihnen Advent zu feiern. Die Frage eines 7-Jährigen war verblüffend folgerichtig: „Ist der Ausflug dahin eigentlich auch eine Station von unserem Lebendigen Adventskalender?“ Ja, klar! So sind es nun 7 Stationen geworden…

18. Dezember 2024

Maria berichtet:

Also, je näher wir der Heimatstadt von Josefs Familie kommen, umso mehr bin ich angetan von den Menschen, die uns hier begegnen und Herberge geben, mal für eine Verschnaufpause tagsüber, mal über Nacht. Heute ist uns etwas Lustiges widerfahren, ich könnte mich immer noch kringeln bei dem Gedanken, wie Josef das ganz tapfer mitgemacht hat…!

Um die dritte Stunde am Nachmittag suchten wir nach einem Plätzchen, um uns etwas auszuruhen. Zwischen den vielen hohen Häusern fanden wir eine Art Gemeinschaftshaus, vor dem ein beleuchteter Baum die anbrechende Dämmerstunde freundlich erhellte. Gemeinsam mit einigen anderen folgten wir im Haus den verlockenden Düften von Gewürzen, Tee, Kaffee und Gebäck (und Seife!?) bis ins zweite Obergeschoss. Ich war ganz überrascht, dass wir trotz Esel und Babybauch trotzdem über eine Treppe schneller ankamen, als jene, die in das fahrende Zimmerchen gestiegen waren! Naja, dafür musste ich erst einmal verschnaufen, während die Benutzerinnen des fahrenden Zimmerchens angeregt und ununterbrochen Neuigkeiten austauschten.

Als wir den wohlig geschmückten Raum betraten (das Eselchen hatte ich vorsichtshalber an der Garderobe geparkt), schauten wir in die Runde und waren geblendet: Das letzte Aufbäumen der Abendsonne erleuchtete den Raum dermaßen, dass wir zunächst niemanden erkennen konnten. Doch mit der Zeit gewöhnten sich unsere Augen daran und die Umrisse von acht Personen waren, um einen großen Tisch sitzend, zu erkennen. Drei Stimmen kamen uns gleich bekannt vor: Sie gehörten zu der Gruppe von Pilgern, die uns schon mehrfach begegnet war. Eine von ihnen schien so eine Art Managerin zu sein, die mit schneller Zunge Geburtstagsgrüße, Neuigkeiten und Kritisches wie Zutaten in einen großen Teig mengte. (Wir hatten in den vergangenen Tagen so viele leckere Plätzchen-Teige probiert, dass ich hoffe, dass auch hier an diesem Plätzchen eine wohltuende Mischung von allem gelingt…). Die andere Frau hatte dieses Heft der Pilger mitgebracht. Sie erinnerte daran, dass wir gerade das, was uns froh gemacht hat, austeilen dürfen. (Vielleicht ist das ja die beste Zutat in dem großen Teig?) Ich erinnerte mich daran, als ich vor einigen Monaten bei Elisabeth und Zacharias im Bergland von Juda war. Was ich dort erlebt hatte, hat mich auch so erfüllt, dass mein Lobgesang[1] alle anderen Begegnungen in ein neues Licht gerückt hat!

So, nun waren wir alle in das Licht der Abendsonne gerückt und wir sahen… – nur Frauen! Ich stieß Josef in die Rippen und musste kichern, hoffentlich hat das niemand gehört! Josef hat sich wacker gehalten, das konnte muss ich ihm lassen! Aber es hat offensichtlich niemand Anstoß daran genommen, dass auch Josef geblieben ist. Beim gemeinsamen Singen fiel seine tiefe Stimme gar nicht so doll auf.

Sie singen immer wieder, dass die gute Zeit nah ist. Das hoffe ich auch. Ich freu mich auch auf die Stunde (… – und darauf, dass sie dann auch vorbei ist!). Ob die Menschen hier mit allen werdenden Eltern so mitfühlend sind? Ist vielleicht aber hier auch eher so ein Frauending?

Wir genossen den Nachmittag mit den Damen, die Gespräche, die Geschichten, die Bewirtung und den Duft ihrer handgemachten Seifengeschenke…

Josef berichtet:

Mir klingeln ein bisschen die Ohren. Ich genieße die ungewöhnlich laue Luft und den abendlichen Gang durch die Dunkelheit. Naja, richtige Dunkelheit geht anders, aber es tut trotzdem gut. Um die sechste Stunde nähern wir uns hohen Häusern mit farbigen Elementen und großen beleuchteten Nummern seitlich in großer Höhe. Baulich interessant! Wir steuern auf das Haus mit der Nummer 178 zu und stehen vor einer riesigen Tafel mit Knöpfen und Namensschildern. Der kleine Steppke in mir fragt sich, was wohl passieren würde, wenn ich alle Knöpfe auf einmal drücken würde? Aber dann erinnere ich mich an die Geschichte, die meine Vorfahren schon berichtet haben von der den höhen Häusern in Babylon und der großen Sprachverwirrung, sehe Maria neben mir, die mit den Wegen immer mehr zu kämpfen hat und ich verwerfe diesen Gedanken schnell wieder. „Gloria? Ihr gloria?“ werden wir freundlich von hinten aus der Dunkelheit heraus angesprochen. Wir wundern uns etwas, aber ja, wir sind ganz „gloria“! (Hoffentlich meint sie nicht, ob wir zu der Liefer-Kutsche gehören, die dort hinten gerade geparkt hat!?) Nein, wir sind „gloria“, genau, wie die Pilger die sich auf wundersame weise gerade wieder mit uns hier eingefunden haben. Gloria in excelsis deo! Gerade waren meine Gedanken noch in Babylon, da sind die vielen Sprachen hier schon Realität! Die Namensschilder unten am Eingang des hohen Hauses zeugten von mehreren Duzend Nationalitäten!

Wir folgten der jungen Frau in die sechste Etage, aus dem komplikationslos fahrenden Zimmerchen in einen Flur und durch eine große Glastür hindurch.

Eine ältere Dame begrüßt uns herzlich und nutzt dankbar jede Gelegenheit, sich mit den Pilgern zu unterhalten. Sie wird heute Nacht unsere Herbergsmutter sein.

Die Wohnungstür links daneben gehört unserer Gloria-Bekanntschaft und gibt nach und nach die weiteren Familienmitglieder preis: ein Junge und vier Schwestern gesellen sich zu ihrer Mutter. Und eine der Pilgerinnen, die die Familie im Alltäglichen zu unterstützen scheint!

Was für eine herzliche Atmosphäre! Die jüngeren Kinder haben Gedichte in der hiesigen Sprache vorbereitet. Sie haben fleißig geübt und man sieht der Mutter die Anspannung, aber auch die Freude darüber an. Die größeren Kinder haben die hiesige Landessprache so gut drauf, dass sie ihre Mutter beim Verstehen unterstützen. Und sie haben selbst ein Haus gebaut – mein Zimmermannsblick vernachlässigt die Statik und erfreut sich am wohlschmeckend aussehenden Plattenbau mit winterlichem Zuckerguss-Schnee und bunten Verzierungen! Dazu wird uns ein wohlschmeckender pakistanischer Chai-Tee serviert uns Kekse mit wohlschmeckenden Gewürzsamen. Die ältere Dame von nebenan hat dazu einen Teller mit Lebkuchengebäck, Plätzchen und Dominosteinen bereitgestellt. Kulinarisch kennen wir uns langsam aus hier!

Die Familie aus dem fernen Pakistan hat sich offensichtlich gerne dazu einladen lassen, die Traditionen und Lieder der Menschen hier zu dieser Jahreszeit kennenzulernen. Sie scheinen den Herrn der Herrlichkeit, von dem die Lieder singen, bisher genauso wenig zu kennen, wie wir. Für uns ist der Gott Abrahams und unserer Väter der größte Herr. Aber der macht ja bekanntlich Geschichte mit den Menschen. Daran sind wir wohl alle beteiligt. Egal, woher wir einst gekommen sind und wohin wir vielleicht noch gehen werden.

Heute Nacht kehren wir jedenfalls bei der freundlichen älteren Nachbarin ein. Vielleicht hat sie noch einen dieser leckeren Dominosteine? Aus denen würde ich Maria und unserem Eselchen am liebsten einen riesigen Unterstand für die Nacht bauen mit starken „Holzbalken“ aus Lebkuchen und einem Zimtstern auf dem Dach…


[1] Lobgesang der Maria nachzulesen im Lukasevangelium 1. Kapitel Verse 46-55

19. Dezember 2024

Maria berichtet:

Um die Mittagszeit sind wir weitergezogen. Josef hatte im Traum heute Nacht mehrmals laut gekichert, er sagt, er habe geträumt, als einziger Mann inmitten von ganz vielen Frauen auf unserem Eselchen zu sitzen und alle Frauen hätten so ausgesehen, wie ich! Josef, Josef, ich glaube, Du bist langsam urlaubsreif…!!! Aber er erzählte mir, dass er im Traum dort in diesem Haus mit den vielen Frauen auch ein Schild gesehen habe, auf dem „Büro“ stand. Und nun wollte er unbedingt nachfragen, ob wir uns dort schon in diese Liste für die Volkszählung eintragen lassen könnten, wie Kaiser Augustus angeordnet hatte.

Also wanderten wir die halbe Tagesreise noch einmal zurück. Und tatsächlich: Es gab dort dieses Schild „Büro“ und wir folgten diesem Hinweis ins erste Stockwerk. Eine nette Frau mit Augengläsern schien auf Gäste zu warten, denn die Tür stand offen und zwei Kerzenlichter standen auf einem Tisch, an dem sie zu arbeiten schien. Wir schauten uns um und entdeckten tatsächlich drei Hinweise, dass Josefs Vermutung, sich hier in die Listen eintragen zu lassen, Sinn ergeben könnte: 1. An der Wand hing eine große Liste, deren achte Spalte die Überschrift „August“ trug. Hier wurden vermutlich die Anordnungen von Augustus eingetragen. 2. Ein Fach im Regal trug die Aufschrift: „Anträge“. Vielleicht könnten wir hier neben dem Eintrag in die Listen auch gleich unser Aufgebot bestellen? Und 3. las ich dort auf einem Aushang etwas über „KirA, das kirchliche Meldewesen“. Hörte sich alles richtig an.

Wir wurden sehr herzlich empfangen, mussten aber feststellen, dass das mit den Listen gar nicht so einfach ist. Wir haben nicht alles verstanden, was die freundliche Meldefrau uns erklärte. Sie war wirklich sehr nett, aber sie meinte, sie sei leider nicht „internett“, was sie aber sein müsste, um uns in die Liste einzutragen, die es nur noch im Digi-Tal gäbe. Hoffentlich ist es bis dahin nicht mehr allzu weit?! Im Bergland von Juda war es schon ganz schön anstrengend damals… Wir bedankten uns für die Auskunft und ruhten uns noch ein wenig aus. Als wir gegen Abend aufbrachen, um uns eine Unterkunft für die Nacht zu suchen, staunten wir nicht schlecht, als wir bereits beim Verlassen des Büros auf einige Pilger stießen. Wir fragten sie sogleich nach dem Weg zum Digi-Tal und sie beruhigten uns, dass wir uns hier überall bereits im Digi-Tal bewegten und in dem Büro nur der „Upload“ momentan nicht funktioniere. Wir folgten dann ihrer „Ein-Load-ung“, mit ihnen zu kommen – wieder den Weg zurück zu den hohen Häusern. Unterwegs gesellte sich ein freundlicher älterer Herr zu der Pilgergruppe dazu und berichtete, dass er eigentlich ein Bass sei und auf dem Weg zu seinem Chor-Bruder sei. Mit dem er sich heute Abend noch zu einer Probe für ein Konzert auf den Weg machen würde.

Wir hielten inne am hohen Haus mit der Nummer 176 und fuhren mit Sack und Pack mit dem fahrenden Zimmerchen ins vierte Stockwerk. Der lange, helle Flur war erstaunlich gut geheizt und füllte sich zusehends! Das freundliche ältere Pilger-Paar, wobei er der „Chor-Bruder“ sein musste, begrüßte uns hier! Hier wohnten sie also – und als ob sie geahnt hätten, dass wir heute Abend kommen, hatten sie offensichtlich ganz viele Nachbarn dazu eingeladen! Einige holten Klapp- und Kinderstühle aus ihren Wohnungen, andere kamen mit Tellern voll duftendem Gebäck, einige hatten ihr praktisches Schiebe-Gestell dabei. Acht Kinder und siebzehn Erwachsene zählten wir – plus uns selbst zweieinhalb! Da saßen Menschen, die schon über 50 Jahre dort wohnten neben anderen, die vor einigen Jahren vor Krieg und Gewalt ihre eigentliche Heimat verlassen mussten und solche, die sehnsüchtig auf einen neuen Frieden in der Heimat ihrer Familie hoffen, um einmal zurückzukehren.

Zur kleinen Gitarre sangen sie wieder: „Hirt und König lädt er ein, Kranke und Gesunde. Arme, Reiche lädt er ein, freut euch auf die Stunde!“ Das war so eine Stunde. Da war er, Gott, bei den Menschen, die mit ihrer Nationalität und Religion hier auf engem Raum ganz einfach Nachbarn sind. Mit offenen Türen als Zeichen der Verbundenheit und Offenheit füreinander.

Es klingt in meinem Herzen nach…

Josef berichtet:

Dann war da ein Knirps von sieben Jahren, der ließ wie in den alten Schriften die Posaune erschallen, dass Gott unter Jauchzen auffuhr[1]! Das soll unser Junge auch lernen. Neben dem Beruf des Zimmermanns natürlich.

Und als ich so in diese große Runde von Menschen auf dem langen Flur blickte, musste ich an meinen Lieblingswerkstoff denken: Holz.

Gott hat am dritten Tage so unterschiedliche Holzarten erschaffen, jede Maserung ist einzigartig und an den Jahresringen kann man so Einiges der Weltgeschichte ablesen – so ist das eigentlich mit uns Menschen auch. Trotz unterschiedlicher Stammbäume oder familiärer Verzweigungen sind wir doch vor Gott alle „aus demselben Holz geschnitzt“! Apropos Schnitzen: Maria schläft schon, ich schnitze noch ein wenig an einem kleinen Herz für Maria.


[1] Ps 47,6 Josef scheint die das trompetenähnliche Kornett mit Pump-Ventilen noch nicht zu kennen, es klingt für ihn wie eine Posaune…